Donnerstag, 4. Juni 2015

Karl Popper und Immanuel Kant (Teil 2) - ... und das moralische Gesetz in mir!

Karl Raimund Popper
Zum hundertfünfzigsten Todestag hielt Karl Popper in der BBC einen Vortrag, in dem er Kant als letzten großen Vorkämpfer der Aufklärung verteidigt – gegen die romantische Schule des „Deutschen Idealismus“ von Fichte, Schelling und Hegel, die die Aufklärung vernichtete.

Im Hinblick auf unser Wissen stellt Popper im Anschluss an Kants Transzendental-philosophie fest, dass wir den Gedankenaufgeben müssen, „daß wir passive Zuschauer sind, die warten, bis die Natur ihnen ihre Gesetzmäßigkeiten aufdrängt. An die Stelle dessen müssen wir den Gedanken setzen, daß, indem wir unsere Sinnesempfindungen assimilieren, wir, die Zuschauer, ihnen die Ordnung und die Gesetze unseres Verstandes aufzwingen. Unser Kosmos trägt den Stempel unseres Geistes.“

An dieser Stelle schlägt Popper nun den Bogen von der Kopernikanischen Wende in der Erkenntnistheorie zur Ethik, denn für Popper steht fest, dass auch die „Grundidee der Kantischen Ethik ebenfalls auf einer Kopernikanischen Wendung beruht.“

Entscheidend ist, dass Kant auch in der Ethik den Menschen zum Gesetzgeber der Moral in genau derselben Weise macht, in der er ihn zum Gesetzgeber der Natur machte: „Kants Kopernikanische Wendung im Gebiete der Ethik ist in seiner Lehre von der Autonomie enthalten, worin er sagt, daß wir dem Gebote einer Autorität niemals blind gehorchen dürfen, ja daß wir uns nicht einmal einer übermenschlichen Autorität als einem moralischen Gesetzgeber blind unterwerfen sollen.“

Die Entscheidung liegt bei uns:
Wir können dem Befehl gehorchen oder
nicht gehorchen
Auch wenn wir dem Befehl einer Autorität gegenüberstehen, seien es doch immer nur wir, die auf unsere eigene Verantwortung hin entscheiden, ob dieser Befehl moralisch ist oder unmoralisch. Eine Autorität mag zwar die Macht besitzen, ihre Befehle durchzusetzen, „ohne daß wir ihr Widerstand leisten können.“ Nur: Solange es irgendwie physisch möglich ist, zwischen verschiedenen Handlungsweisen zu wählen, liegt die Verantwortung stets beim Handelnden. „Denn die Entscheidung liegt bei uns: Wir können dem Befehl gehorchen oder nicht gehorchen; wir können die Autorität anerkennen oder verwerfen.“

Kant wendet diese Idee mutig auf das Gebiet der Religion an, wenn er schreibt: „Es klingt zwar bedenklich, ist aber keineswegs verwerflich zu sagen, daß ein jeder Mensch sich einen Gott mache, ja nach moralischen Begriffen … sich einen solchen selbst machen müsse, um an ihm den, der ihn gemacht hat, zu verehren. Denn auf welcherlei Art ein Wesen auch als Gott … bekannt gemacht und beschrieben worden, ja ihm ein solches auch … selbst erscheinen möchte, so muß er … doch allererst … urteilen, ob er [durch sein Gewissen] befugt sei, es für eine Gottheit zu halten und zu verehren.“

Aber Kants Ethik darf nicht auf den Satz reduziert werden, das Gewissen des Menschen sei seine einzige Autorität. Er legt vielmehr fest, was unser Gewissen von uns fordern kann. Kant formuliert in seinen Werken verschiedenen Fassungen des moralischen Gesetzes. Die bekannteste ist sicherlich der Kategorische Imperativ: „Handle nur nach der Maxime, von der du wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Daneben, aber mit einer anderen Stoßrichtung entwirft Kant die sogenannte Menschheitsformel: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“

Für Popper kann man den „Geist der Kantischen Ethik“ am ehesten in den Worten zusammenfassen: „Wage es, frei zu sein, und achte und beschütze die Freiheit aller anderen.“

"Zum ewigen Frieden" (1795)
Kant errichtet folglich auf der Grundlage dieser Ethik seine Staatslehre und seine Lehre vom internationalen Völkerrecht. In seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ (1795) verlangte Kant einen Völkerbund, einen „Föderalismus freier Staaten“ mit der Aufgabe, den ewigen Frieden auf Erden zu verkünden und aufrechtzuerhalten.

Und so schließt sich der Kreis für Popper in dem „schönen und fast immer falsch verstandenen Wort …, dem Wort vom gestirnten Himmel über uns und dem moralischen Gesetz in uns.“ Wollte man, so Popper weiter, in die Vergangenheit zurückgehen, um einen noch umfassenderen Blick auf Kants Platz in der Geschichte zu erlangen, so würde man schließlich bei Sokrates ankommen:

„Beide wurden beschuldigt, die Staatsreligion verdorben und die Jugend geschädigt zu haben. Beide erklärten sich für unschuldig, und beide kämpften für Gedankenfreiheit. Freiheit bedeutete ihnen mehr als Abwesenheit eines Zwanges: Freiheit war für sie die einzig lebenswerte Form des menschlichen Lebens. Die Verteidigungsrede und der Tod des Sokrates haben die Idee des freien Menschen zu einer lebendigen Wirklichkeit gemacht. Sokrates war frei, weil sein Geist nicht unterjocht werden konnte; er war frei, weil er wußte, dass man ihm nichts anhaben konnte.“

Kants Grabstein:
Der bestirnte Himmel ...
das moralische Gesetz 
Diese Sokratische Idee des freien Menschen, die das Erbe des Abendlandes ist, hat Kant auf das Gebiet der Erkenntnis und der Ethik angewendet und ihnen so eine neue Bedeutung gegeben. Und er hat ihr weiter die Idee einer Gesellschaft freier Menschen hinzugefügt, einer Gesellschaft aller Menschen:

„Denn Kant hat gezeigt, daß jeder Mensch frei ist: nicht weil er frei geboren, sondern weil er mit einer Last geboren ist – mit der Last der Verantwortung für die Freiheit seiner Entscheidung.“

Zitate aus: Karl Popper: Immanuel Kant  - Der Philosoph der Aufklärung. Eine Gedächtnisrede zu seinem hundertfünfzigsten Todestag, gehalten in englischer Sprache im englischen Rundfunk (British Broadcasting Corporation) am 12. Februar 1954, in: Karl Popper: Auf der Suche nach einer besseren Welt. Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren, München 1999 (Piper Verlag)  

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