Donnerstag, 2. Januar 2014

Norbert Bolz und die Krankheit des Verwaltet-werden-wollens

„Man kann die Freiheit nur wahrnehmen, wenn man gesichert ist; aber die Bemühungen um Sicherheit gefährden die Freiheit. Die berechtigte Sorge um die Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit lässt uns die Freiheit selbst vergessen und errichtet das soziale Gefängnis, das heute vorsorgender Sozialstaat heißt. Dieses Gefängnis braucht keine Ketten und Schlösser. Die Angst vor der Freiheit schließt die Menschen ein. Nicht Freiheit wollen sie, sondern Glück. Aber das unmittelbare Interesse am Glück ist kurzschlüssig. Wer das Glück sucht, muss einen Umweg nehmen – über die Freiheit.“

Diese Zeilen stammen aus dem Buch „Die ungeliebte Freiheit. Ein Lagebericht“ von Norbert Bolz. Es ist ein Plädoyer für Selbstverantwortung und gegen staatliche Betreuung, für den Einzelnen und gegen Gleichmacherei, für die Freiheit und gegen den Sozialismus.

Bolz zufolge beruht der moderne Despotismus darauf, dass sich die Sklaven der aktuellen urbanen Welt glückliche Menschen halten. Glücklich sind die Menschen vor allem deswegen, weil sie von der Freiheit des Willens entlastet sind – mit der Folge, dass man sie, weil sie keine Willensfreiheit mehr besitzen, auch nicht für den Stand der Dinge verantwortlich machen könne: „Das soziale Gefängnis bietet Sicherheit und Ordnung und erspart uns die Ängste des Ausgesetztseins in die Kontingenz.“

Es ist letztlich ein Zeichen von Infantilität, wenn Bürger einerseits den Politikern zutiefst misstrauen und zugleich alles vom Staat erwarten: „Die Freiheit ist in Gefahr, wenn der Bürger selber den Staat nicht mehr als präsumtiven Gegner seiner Freiheit, sondern als willkommenen Helfer aus Notlagen und virtuellen Mehrer seines Wohlstandes betrachtet.

Schon Wilhelm Humboldt hatte 1792 in seiner Schrift „Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“ das Problem beschrieben, wenn die Menschen sich daran gewöhnen, „mehr fremde Belehrung, fremde Leitung, fremde Hilfe zu erwarten, als selbst auf Auswege zu denken.“ Dadurch aber verlieren Fürsorgeempfänger nicht nur Lebensenergie und Dispositionsfreiheit, sondern auch jeden angemessenen Begriff „von Verdienst und Schuld.“

Humboldt zufolge solle sich der Staat „aller Sorgfalt für den positiven Wohlstand der Bürger“ enthalten, keinen Schritt weitergehen, „als zu ihrer Sicherstellung gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde notwendig ist.“ Der Staat müsse eine Bürgern also eine freie und sichere Lebensführung ermöglichen, seine körperliche Unversehrtheit garantieren und seinen Besitz schützen – aber nicht mehr. Ein starker Staat findet seine Stärke also gerade darin, dass er ein sich selbst beschränkender Staat ist, mit der sich die Bürger deshalb identifizieren können, weil dieser Staat die Ehrfurcht vor der Individualität der Menschen mit der Sorge für ihre Freiheit verbindet.


Allegorie auf die gute Regierung: Ausgelassenheit und Sorglosigkeit, die ein gut geordnetes Gemeinwesen ermöglicht (Fresko von Ambrogio Lorenzetti)

Der Paternalismus des vorsorgenden Sozialstaates dagegen behandelt Bolz zufolge die Bürger als Kinder, Patienten oder Heiminsassen und verwandle sie so allmählich in „fröhliche Roboter und glückliche Sklaven. An die Stelle von Freiheit und Verantwortung treten Gleichheit und Fürsorge.“

Genau dies hatte bereits Alexis de Tocqueville in seinem Werk über die Demokratie in Amerika beobachtet: „Der demokratische Despotismus ist die Herrschaft der Betreuer, eine gewaltige, bevormundende Macht, die das Leben der Vielen überwacht, sichert und vergnüglich gestaltet. Sie ist unumschränkt, ins Einzelne gehend, regelmäßig, vorsorglich und mild. Sie wäre der väterlichen Gewalt gleich, wenn sie wie diese das Ziel verfolgte, die Menschen auf das reife Alter vorzubereiten; statt dessen aber suchen sie bloß, sie unwiderruflich im Zustand der Kindheit festzuhalten.“

So brauchen die umfassend Betreuten gar keinen freien Willen mehr und empfinden „die totale Vorsorge“ auch noch als Wohltat: „Ein Netz präziser, kleiner Vorschriften liegt über der Existenz eines jeden und macht ihn auch in den einfachsten Angelegenheiten abhängig vom vorsorgenden Sozialstaat. Die Überregulierung des Alltags verwandelt die Befolgung des Gesetzes aus einem Sollen in ein Gehorchen.“

Auf diese Art entstünde eine „Art von geregelter, milder und friedsamer Knechtschaft“, an der sich niemand zu stören scheint, „weil man sich ja einreden kann, die Vormünder selbst gewählt zu haben.“

Der Grund dafür, dass dieser Paternalismus so erfolgreich ist, ist anthropologischer Natur: „Hilflosigkeit, Anhängigkeit, Hinfälligkeit, Übermacht und Feindseligkeit machen Angst. Deshalb wollen die meisten Sicherheit statt Freiheit.“

Am modernen Wohlfahrtsstaat lässt sich gut erkennen, wie das politische System den Menschen die Freiheit für das Versprechen von Sicherheit und Gleichheit abgekauft hat: „Und in der Tat bringt die fröhliche Sklaverei unter kapitalistischen Bedingungen  fast allen eine akzeptablen Lebensstandard und Lebenssicherheit. Wir können deshalb den vorsorgenden Sozialstaat als Hoheitsverwaltung der Hilflosen definieren.“

So scheint es, dass die modernen demokratischen Gesellschaften zwar die Freiheit achten, es aber die Gleichheit ist, der die ewige Liebe der Demokraten gilt. „Gleichheit“ wird dabei allerdings als Gleichmacherei, als Gleichheit durch das Gesetz und eben nicht mehr als Gleichheit vor dem Gesetz verstanden. So neigen Bolz zufolge die „meisten Deutschen zum Sozialismus, weil sie die gleiche Verteilung des Unglücks der ungleichen Verteilung des Glücks vorziehen.“ Anders ausgedrückt: Die Menschen bevorzugen Gleichheit in der Knechtschaft statt Ungleichheit in der Freiheit.

Versäumen wir nicht die Freiheit als eigene Möglichkeit unseres Lebens!

Zitate aus: Norbert Bolz: Die ungeliebte Freiheit. Ein Lagebericht. München 2010 (Wilhelm Fink), hier: S. 69ff.

Weitere Literatur: Wilhelm von Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen des Staates zu bestimmen, Stuttgart 1995 (Reclam) - online beim Projekt Gutenberg – Alexis de Tocqueville: Über die Demokratie in Amerika. Stuttgart 2006 (Reclam)




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