Donnerstag, 5. September 2013

Hölderlin und der Verstand


In dankbarer Erinnerung an Johannes Heldt 
(06.05.1936 - 12.03.2004)




Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770 - 1843) ist einer der bedeutendsten deutschen Lyriker der Romantik. Grundlegend für das Verständnis Hölderlins ist seine Sichtweise der altgriechischen Kultur, das sich gleichwohl von dem idealistischen Griechenlandbild vieler seiner Zeitgenossen unterscheidet, da Hölderlin die dem Geschmack der Zeit nicht genehmen Züge der griechischen Kultur nicht klassizistisch glätten wollte.

In seinem frühen Briefroman Hyperion oder Der Eremit in Griechenland (erschien in zwei Bänden 1797 und 1799) stellte Hölderlin seine Vorstellung der antiken griechischen Kultur dar.

Die Handlung ist schnell zusammengefasst, geht es doch in dem Werk vor allem um die inneren Erfahrungen des Protagonisten: Hyperion, der rückschauend seinem deutschen Freund Bellarmin von seinem Leben berichtet, wächst in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Südgriechenland im Frieden der Natur auf. Er ist ein Idealist reinster Prägung, der von seinem Lehrer Adamas in das Zauberland der griechischen Götter eingeführt wird und sich – begeistert für die griechische Vergangenheit – aufmacht, einen neuen goldenen Zustand heraufzuführen, in dem Gott, Natur und Mensch wieder eins sind.

Sein Freund Alabanda, ein Tatmensch, weiht ihn in die Pläne zur Befreiung Griechenlands von der osmanischen Herrschaft ein. Dieser ist es auch, der Hyperoin schließlich zu einem übereilten Eingreifen in den griechischen Aufstand 1770 gegen die Türken verführt. Dort zeigt sich, dass seine Zeitgenossen noch nicht reif sind für seine hohen Ideale. Unterwegs lernt Hyperion Diotima kennen, die ihn – vergebens – lehrt, nicht zu schwärmen, sondern sich ernst zu bilden.

Diotima
Das Unternehmen endet in einer Katastrophe: Hyperion Er wird schwer verwundet, Alabanda muss fliehen und Diotima stirbt. Hyperion beginnt schließlich ein Leben als Eremit in Griechenland, wo er seine Trauer über die Armut und Starre der Gegenwart vor dem Abbild des antiken Griechenland ausleben kann.

Verzweifelt an den Menschen, an der Liebe und auch an der Philosophie, sucht Hyperion sein letztes Heil in resignierter Naturliebe. Die Natur wird für ihn die alleinige Geisteswirklichkeit: „O du mit deinen Göttern, Natur! Ich hab ausgeträumt, von Menschendingen den Traum, und sage: Nur du lebst …“

Aus dieser Perspektive wird auch verständlich, warum Hölderlin dem menschlichen Verstand und seinen Möglichkeiten eher skeptisch gegenüber steht. An entscheidender Stelle schreibt er im Hyperion:

„Aber aus bloßem Verstand ist nie Verständiges, aus bloßer Vernunft ist nie Vernünftiges gekommen.

Verstand ist ohne Geistesschönheit, wie ein dienstbarer Geselle, der den Zaun aus grobem Holze zimmert, wie ihm vorgezeichnet ist, und die gezimmerten Pfähle aneinander nagelt, für den Garten, den der Meister bauen will. Des Verstandes ganzes Geschäft ist Notwerk. Vor dem Unsinn, vor dem Unrecht schützt er uns, indem er ordnet; aber sicher zu sein vor Unsinn und vor Unrecht ist doch nicht die höchste Stufe menschlicher Vortrefflichkeit.

Vernunft ist ohne Geistes-, ohne Herzensschönheit, wie ein Treiber, den der Herr des Hauses über die Knechte gesetzt hat; der weiß, so wenig, als die Knechte, was aus all der unendlichen Arbeit werden soll, und ruft nur: tummelt euch, und siehet es fast ungern, wenn es vor sich geht, denn am Ende hätt er ja nichts mehr zu treiben, und seine Rolle wäre gespielt.

Aus bloßem Verstande kömmt keine Philosophie, denn Philosophie ist mehr, denn nur die beschränkte Erkenntnis des Vorhandnen.

Aus bloßer Vernunft kömmt keine Philosophie, denn Philosophie ist mehr, denn blinde Forderung eines nie zu endigenden Fortschritts in Vereinigung und Unterscheidung eines möglichen Stoffs.

Leuchtet aber das göttliche έν διαφερον έαυτω (das Eine in sich selber unterschiedene), das Ideal der Schönheit der strebenden Vernunft, so fordert sie nicht blind, und weiß, warum, wozu sie fordert.

Scheint, wie der Maitag in des Künstlers Werkstatt, dem Verstande die Sonne des Schönen zu seinem Geschäfte, so schwärmt er zwar nicht hinaus und läßt sein Notwerk stehn, doch denkt er gerne des Festtags, wo er wandeln wird im verjüngenden Frühlingslichte.“

Durch mythische Erfahrung, nicht durch Verstand und Vernunft entsteht ein Gespür für die tiefere Bedeutung der Dinge. Durch die Wut des Erklärens aber wird solche Bedeutsamkeit zerstört: „Man dringt in die Wirklichkeit ein, statt sich ihr zu öffnen und sie aufgehen zu lassen. Deshalb sieht man die Erde nicht mehr, hört nicht mehr den Vogellaut, und die Sprache zwischen den Menschen ist verdorrt“ (Safranski).

Göttlich können auch – das stellt Hyperion am Ende fest – Landschaften sein. In Griechenland „leben noch die Götter in den Hainen, im leichten Wind, der vom Meer her weht:

„Endlich … merkt´ ich auf, und mein ganzes Wesen öffnete sich der wunderbaren Gewalt, die auf einmal süß und still und unerklärlich mit mir spielte.“

Arkadische Landschaft mit Hirten (Claude Lorrain, 1600 - 1682)
Nicht nur in der ganzen Natur, sondern auch in bestimmten Landschaften und „Konfigurationen des Menschengeschlechts“ wohnt das Göttliche. „Das Unendliche im Endlichen, das Ewige im Augenblick.“

Zitate aus: Friedrich Hölderlin: Hyperion oder der Eremit in Griechenland, in: Ders.: Gesammelte Werke, Gütersloh 1955 (Bertelsmann), hier: S. 391 ff  -  Weitere Literatur: Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre, Frankfurt am Main 20010 (fischer), hier: S. 163ff.

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