Donnerstag, 27. Juni 2013

Hannah Arendt und der deutsche Rassebegriff

„Es liegt am Menschen und nicht an einem dunklen Verhängnis, was aus ihm wird. Weil die Einsicht unsere politische Denkungsart klärt und dadurch erneuert, ist das Buch geschrieben.

Es macht keine Vorschläge und gibt keine Programme. Denn es will als solches nur historische Erkenntnis. Daher halte ich dieses Buch für Geschichtsschreibung großen Stils.“

(erschienen 1951, dt. 1955)
Diese Worte schrieb Karl Jaspers im Geleitwort zu Hannah Arendts großem Werk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, das sie unter dem Eindruck des Holocaust 1951 in New York veröffentlichte und das vier Jahre später in deutscher Übersetzung erschien.

Wie Arendt selbst im Vorwort schreibt, handelt das Buch „von den Ursprüngen und Elementen der totalen Herrschaft, wie wir sie als eine, wie ich glaube, neue `Staatsform´ im Dritten Reich und in dem bolschewistischen Regime kennengelernt haben. Die Ursprünge liegen in dem Niedergang und Zerfall des Nationalstaates und dem anarchistischen Aufstieg der modernen Massengesellschaft“ (16).Auf der Suche nach den historischen Ursprüngen des Totalitarismus behandelt Hannah Arendt im zweiten Teil des Buches – „Imperialismus“ – auch die Entstehung des deutschen Rassebegriffes.

Für Arendt steht fest, dass der deutsche Rassebegriff auf die preußischen Patrioten nach der Niederlage von 1806 und die politische Romantik zurückgeht. Er war in seinen Ursprüngen ausgesprochen völkischer Art. Bevor er in eine Weltanschauung degenerierte, war er politisch gebunden, hatte aber – im Vergleich zum französischen Rassebegriff des französischen Adels – gerade „den Zweck, das Volk in allen seinen Schichten zu vereinigen, und nicht, eine Gruppe aus ihm herauszuspalten.“

Weil es also vor allem darum ging, „das Volk zum Bewusstsein seiner gemeinsamen Herkunft gegen die Fremdherrschaft zu mobilisieren“, ist das völkische Element für den deutschen Rassebegriff so lange entscheidend geblieben und auch niemals ganz aus ihm verschwunden: „Die Bedingungen und politischen Zwecke, die Abwehr der Fremdherrschaft und die Einigung des Volkes haben zum mindesten bis zur Reichsgründung in der Entwicklung des Rassebegriffs mitgewirkt, so dass sich hier in der Tat echter Nationalismus und typische Rassevorstellungen vielfach miteinander mischen und ebenjenes völkische Denken erzeugen, das es nur im deutschsprachigen Raum gibt.“

So habe die deutsche Rasseideologie in der Tat die Terminologie des völkisch gefärbten Nationalismus für Propagandazwecke immer mitbenutzt, nicht zuletzt um sich eine nationale Tradition zuzulegen, die sie in Wirklichkeit nicht hatte.

"Der Himmel segne unser gemeinsames Streben Ein Volk zu werden, das voll der Tugenden der Väter und Brüder durch Liebe und Eintracht die Schwächen und Fehler beider beseitigt.“ (aus dem Einladungsschreiben für das Wartburgfest 1817) 

Im Unterschied zum französischen Adel hatte der preußische Adel mit der Entwicklung des Rassebegriffs und des völkischen Denkens in Deutschland gar nichts zu tun. Vielmehr waren die „deutschen Patrioten, welche nach 1814 den deutschen Nationalismus zu einer Waffe für die Errichtung eines gesamtdeutschen Nationalstaates entwickelten, liberal.“ In der Hoffnung, dass der Sieg über die französische Besatzung auch zu einer Befreiung der deutschen Nation würde, bestanden sie auf der gemeinsamen Herkunft in der deutschen Sprache, ohne dabei jedoch auf Rasseelemente oder völkische Vorstellungen zu rekurrieren.

Turnvater Jahn (1778 - 1852)
Dies geschah erst, als sich die Hoffnungen auf den Beginn einer deutschen Nation getäuscht sahen. Jetzt begannen die Versuche, die bisherige, sich lediglich auf Sprache und Kultur gründende Definition des deutschen Volkes auf `realere´ Vorstellungen von `Blutsbanden´ zu erweitern. Diese letztlich natürlich erheblich abstrakteren Ideen nationaler Identität wurden von Männern getragen, die sehr verschiedenen politischen Lagern angehörten, „wie etwa der katholische Schriftsteller Joseph Görres, der liberale Nationalist Ernst Moritz Arndt und der Turnvater Jahn.

Sie waren sich darin einig, „dass das Volk selbst für die Geburt der Nation nicht reif war, dass ihm sowohl das Bewusstsein einer gemeinsamen geschichtlichen Vergangenheit wie der Wille für eine gemeinsame Zukunft fehlten.“ Daher müsse etwas gefunden werden, was sich irgendwie mit dem messen könnte, was die ganze europäische Welt als die glorreiche Macht der geeinten französischen Nation erfahren hatte.

Weil es demgegenüber aber „Deutschland“ nicht gab und auf deutschsprachigem Territorium einfach kein nationales Gebilde entstehen wollte, trat „an seine Stelle dann die Vorstellung, daß `alle Glieder ein gemeinsames Band der Blutsverwandtschaft umschlingt´ oder daß diejenigen, die es so offensichtlich nicht zu einer organischen Einheit gebracht hatten, allem äußeren Anschein zum Trotz `ein ursprüngliches Volk´ seien.“

Das zweite spezifisch deutsche Element in den Rasseideologien des 19. Jahrhunderts sieht Arendt in dem „Persönlichkeits- und Geniekult, mit dem sich das deutsche Bürger- und Spießbürgertum über seine ursprünglich politisch verursachten Minderwertigkeitsgefühle hinwegzuhelfen suchte.“ Hieraus entwickelte sich schließlich das, „was sich diejenigen darunter vorstellten, die meinten, es sei die ihnen, den Germanen, von der Natur selbst zugewiesene Aufgabe, die ganze Welt zu beherrschen und zu unterdrücken.“

Es sei natürlich ein Irrtum, so Arendt, die politische Romantik für den spezifisch völkischen Charakter des deutschen Nationalismus verantwortlich zu machen. Unter der Prämisse, „dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten zu geben“ (Novalis), wurde selbstverständlich auch das deutsche Volk „romantisiert.“

Im Zentrum aber des romantischen Welt- und Lebensgefühls stand der Genie- und Produktivitätsbegriff, wobei „der Grad von Genie von der Anzahl der Einfälle abhing, die einer produzieren konnte.“ `Persönlichkeit´ aber ist vor allem ein gesellschaftlicher und dann auch politischer Begriff. Dies lässt sich an seiner Bedeutung für das deutsche Bürgertum ablesen, denn „was immer das deutsche Bürgertum in seiner schwierigen und politisch besonders ungünstigen Situation schließlich an gesellschaftlichem Selbstbewusstsein aufzuweisen hatte, verdankte es seinen Intellektuellen, unten denen die Romantiker eine hervorragende Stellung einnahmen.“ 

Über das Genie schreibt Jean Paul in seiner "Vorschule der Ästhetik" (1804) 

Das Problem war nur, dass die großartigen Eigenschaften, die die bürgerlichen Persönlichkeiten sich zulegten und „einander dauern in nationalistischer Terminologie bestätigten“ genau diejenigen waren, die sich unter den Aristokraten seit alters her unter Umständen wirklich in Form echter Familientradition fanden.

Solange die beiden Elemente des deutschen Rassebegriffs, das völkische, durch Blutsbande vereintes Nationalgefühl einerseits und der romantische Persönlichkeitskult andererseits, voneinander getrennt bleiben, „gehörten sie nur zu den vielen unverbindlichen Meinungen des 19. Jahrhunderts.“ Erst als sie miteinander verbunden wurden, „konnten sie zusammen so etwas wie die theoretische Grundlage für eine Rasseideologie erzeugen.“

Dies geschah Hannah Arendt jedoch vorerst nicht in Deutschland, sondern in Frankreich, „und der Erfinder dieses explosiven Amalgams ist nicht ein bürgerlicher Intellektueller, sondern ein in seiner Weise hochbegabter und in allen seinen politischen Ambitionen getäuschter Adliger, der Comte Arthur de Gobinau.“

Zitate aus: Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 2009 (piper), v.a. S. 365ff


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