Donnerstag, 4. April 2013

Jacob Burckhardt und die Bedeutung Athens


In der kleinen, posthum erschienen Schrift „Weltgeschichtliche Betrachtungen“ (1905) von Jacob Burckhardt findet sich folgender Hymnus auf die Bedeutung des antiken Athen für die Geschichte der Menschheit:

„Welch eine unermeßliche geschichtliche Erkenntnis geht von dieser Stadt aus! Jeder muß bei seinen Studien irgendwie dort einkehren und das Einzelne auf dieses Zentrum zu beziehen wissen.

Die griechische Philosophie, bei verschiedenen Stämmen entstanden, hat in Athen zusammengemündet; Homer ist in Athen in seine gegenwärtige Form gebracht worden; das griechische Drama, die höchste Objektivierung des Geistigen in einem sinnlich Wahrnehmbaren und zugleich Beweglichen, ist fast ausschließlich das Werk Athens; der Attizismus ist der Stil aller späteren Griechen geworden; ja das ungeheure Vorurteil des ganzen (auch römischen) späteren Altertums zugunsten der griechischen Sprache als des reichsten und biegsamsten Organes alles Geistes ruht wesentlich auf den Schultern Athens.

Endlich die griechische Kunst, unabhängiger vielleicht von Athen als irgend eine andere Äußerung des griechischen Wesens, dankt ihr doch den Phidias und andere der Größten und hat in Athen ihren wichtigsten Vermittlungsort gefunden.

Hier möge überhaupt der Bedeutung gedacht sein, die ein anerkannter geistiger Tauschplatz und zwar ein freier hat. 

Sokrates
Nun tritt in Athen auch der Geist frei und offen hervor oder schimmert wenigstens überall wie durch eine leichte Hülle hindurch infolge der Einfachheit des ökonomischen Daseins, des Sich-Begnügens mit mäßigem Landbau, Handel und Industrie, der großen Mäßigkeit des Lebens; leicht und strahlend entbinden sich aus diesem Treiben Teilnahme am Staat, Eloquenz, Kunst, Poesie und Philosophie.

Wir finden hier keine Abgrenzung von Ständen nach Rang, keine Trennung von Gebildeten und Ungebildeten, keine Quälerei, es einander an Äußerlichkeiten gleich- oder zuvorzutun, kein Mitmachen »anstandshalber«, daher auch kein Erlahmen nach der Überanstrengung, kein Philisterium im Négligé neben aufgedonnerten Gesellschaften und Festen, sondern eine gleichmäßige Elastizität; die Feste sind etwas Regelmäßiges, kein gequälter Effort.

So ist jene Geselligkeit möglich, die sich aus den Dialogen Platos und z.B. aus Xenophons Convivium ergibt.

Dagegen findet sich keine Überladung mit Musik, welche bei uns das Unzusammengehörige verdeckt; auch findet sich keine Zimperlichkeit mit gemeinen heimlichen Bosheiten daneben. Die Leute haben einander etwas zu sagen und machen auch Gebrauch davon.

So bildete sich ein allgemeines Verständnis aus: Redner und Dramatiker rechnen auf ein Publikum, wie es sonst nie mehr vorhanden gewesen. Die Leute hatten Zeit und Geist für das Höchste und Feinste, weil sie nicht im Erwerb- und Ranggeist und falschen Anstand untergingen. Es war Fähigkeit vorhanden für das Sublime und für die feinsten Anspielungen wie für den frechsten Witz.

Jede Kunde von Athen meldet selbst das Äußerlichste in Verbindung mit Geist und in geistiger Form. Es gibt hier keine langweiligen Seiten.

Akropolis

Sodann stellt sich hier klarer als sonst irgendwo die Wechselwirkung zwischen dem Allgemeinen und den Individuen dar. Indem sich ein starkes lokales Vorurteil bildet, daß man hier alles können müsse, und daß hier die beste Gesellschaft und die größte, ja einzige Anregung sei, produziert die Stadt wirklich eine unverhältnismäßige Menge bedeutender Individuen und läßt sie auch emporkommen. Athen will sich beständig im Einzelnen gipfeln; es ist Sache eines enormen Ehrgeizes, sich hier auszuzeichnen.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.


Zitate aus: Jacob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen, Wiesbaden 2009 (Marixverlag)

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