Donnerstag, 11. April 2013

Hannah Arendt und das tätige Leben: Herstellen


Hannah Arendt (1906 - 1975)
Im Jahre 1958 veröffentlichte Hannah Arendt ihr philosophisches Hauptwerk „Vita activa oder Vom tätigen Leben.“ Darin beschreibt sie nicht mehr und nicht weniger als eine Theorie des politischen Handelns vor dem Hintergrund der Geschichte politischer Freiheit und selbstverantwortlicher aktiver Mitwirkung der Bürger am öffentlichen Leben.

Arendt zufolge habe jedes Individuum die Aufgabe, in Verbindung mit anderen Personen die Welt zu gestalten. Dabei stehen dem Menschen drei „Grundtätigkeiten“ zur Verfügung: Arbeiten, Herstellen und Handeln (griech. πόνος, ποίησις und πρãξις).

Nach Arendt ist es die Gewissheit der Endlichkeit seines Daseins, das den Menschen dazu antreibt, sich eine Welt aus Dingen zu schaffen, die er mit „Geist“ und „Kraft“ aus unterschiedlichen Materialien herstellt und die seine Lebenszeit überdauern.

Während die Arbeit das „Am-Leben-Bleiben des Individuums und das Weiterleben der Gattung“ sichert, errichtet das Herstellen „eine künstliche Welt, die von der Sterblichkeit der sie Bewohnenden in gewissem Maße unabhängig ist und so ihrem flüchtigen Dasein so etwas wie Bestand und Dauer entgegenhält“ (18)

Steinmetze im antiken Rom

So sei es „das Werk unserer Hände, und nicht die Arbeit unseres Körpers“, also der „Homo faber, der vorgegebenes Material bearbeitet zum Zwecke der Herstellung, und nicht das Animal laborans, das sich körperlich mit dem Material seiner Arbeit `vermischt´“, der die endlose Vielfalt von Dingen anfertigt, „deren Gesamtsumme sich zu der von Menschen erbauten Welt zusammenfügt“ (161).

Die hier von Arendt beschriebene Unterscheidung zwischen „Arbeiten“ und „Herstellen“ zeigt sich auch in der Differenz zwischen den Produkten der Arbeit, den Konsumgütern, die verbraucht werden, während Produkte des Herstellens oder des Werkens gebraucht werden:

„Diese Gegenstände werden gebraucht und nicht verbraucht, das Brauchen braucht sie nicht auf; ihre Haltbarkeit verleiht der Welt als dem Gebilde von Menschenhand die Dauerhaftigkeit und Beständigkeit, ohne die sich das sterblich-unbeständige Wesen der Menschen auf der Erde nicht einzurichten wüßte; sie sind die eigentlich menschliche Heimat des Menschen“ (ebd).

John Neagle (1799–1865) In der Schmiede
Natürlich ist die Haltbarkeit der von Menschen geschaffenen Dinge nicht absolut, ihr Gebrauch nutzt sie ab. Dennoch ist offensichtlich, dass auch die „billigste Fabrikware sich von der erlesensten Delikatesse noch dadurch unterscheidet, dass sie nicht verdirbt, wenn sie nicht benutzt wird, dass sie eine bescheidene Eigenständigkeit hat, die sie befähigt, die wechselseitigen Launen ihres Besitzers für einen recht beträchtlichen Zeitraum zu überdauern“ (163).

Mit Hilfe dieser Dinge kann der Mensch – im Unterschied zum Tier, das in seiner natürlichen Umwelt lebt - sich seine eigene Welt aufbauen. Arnold Gehlen hatte bereits einige Jahre vorher festgestellt, dass der Mensch sich eine zweite Natur, eine künstliche und passend gemachte Ersatzwelt erschafft, in der er sich selbst als Kulturwesen deuten kann. Für Arendt dagegen ist der Prozess des Herstellens gleichwohl immer auch „gewalttätig“, denn der „Homo faber, der Schöpfer der Welt, kann sein Geschäft nur verrichten, indem er Natur zerstört“ (165).

Der Homo faber ist in der Tat ein „Herr und Meister, nicht nur weil er Herr der Natur ist oder verstanden hat, sie sich untertan zu machen“, sondern er ist vor allem „Herr seiner selbst, seines Tuns und Lassens“, was man eben nicht vom Homo laborans sagen kann, das stets „der Notwendigkeit des eigenen Lebens unterworfen bleibt“ (170)

Es ist nach Arendt das „eigentliche Merkmal des Herstellens, dass es einen definitiven Anfang und ein definitives, voraussagbares Ende hat“, während das Arbeiten „gefangen in den Kreislauf des Körpers“, weder Anfang noch Ende hat. Sobald das Resultat seiner Tätigkeit fertiggestellt ist, kann der Homo faber frei entscheiden, „ob das Werk seiner Hände der Vorstellung seines Geistes entspricht, und, wenn es ihm nicht gefällt; es zu zerstören“ (170).

Antike griechische Töpferei
Das Wesen des Herstellens zeige sich weiter in seiner Zweckdienlichkeit: „Der Zweck rechtfertigt die Gewalt, die der Natur angetan wird, wenn man das Material aus ihr gewinnen will, wie das Holz das Fällen des Baumes rechtfertigt, wie der Tisch schließlich die nochmalige Zerstörung des Materials, das Zersägen des Holzes rechtfertigt“ (182).

Sinn und Zweck fallen im Prozess des Herstellens zusammen, denn in der Welt Homo fabers, „wo alles seinen Nutzen beweisen muss und daher als ein Mittel gebraucht wird, um etwas anderes, als es selbst ist, zu erreichen, kann Sinn nur als ein Zweck verstanden werden, und zwar als ein Endzweck, bzw. ein `Zweck an sich´“ (183).

Deutlich wird der Zweck-Sinn des Homo faber letztlich auf dem Tauschmarkt, die Agora. Der Homo faber sei durchaus fähig, einen ihm angemessenen öffentlichen Bereich zu erschaffen, „obwohl dies nicht ein politischer Bereich im eigentlichen Sinne des Wortes ist“. Der Tauschmarkt ermöglicht dem Homo faber, „das Werk seiner Hände zur Schau zu stellen und die gebührende Achtung und Hochschätzung zu empfangen“ (191).

So liegt für Arendt die Bedeutung des Herstellens abschließend darin, dass „ohne die Geräte, die Homo faber entwirft, um die Arbeit zu erleichtern und die Arbeitszeit zu verkürzen“ auch das menschliche Leben nichts anderes sein könnte als Mühe und Arbeit (211).

Zitate aus: Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 2010 (piper)

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