Donnerstag, 7. Februar 2013

Condorcet und die Geschichte


Condorcet (1743 - 1795)
Der französische Adlige Condorcet wurde am 17. September 1743 geboren. Nach seinem Studium widmete er sich zunächst der Mathematik und wurde aufgrund einer vielbeachteten Abhandlung über die Integralrechnung im Jahre 1765 in den Kreis der „Enzyklopädisten“ um Diderot aufgenommen. 

Ab 1789 beteiligte er sich aktiv an der französischen Revolution und hatte verschiedene Ämter inne. In ihnen setzte sich Condorcet vor allem für eine Erziehung für alle Volksschichten, für die Gleichberechtigung der Frau und für die Abschaffung der Sklaverei ein. Im Zuge der Verfolgungen durch die radikalen Jakobiner unter Robespierre wurde Condorcet verhaftet und starb auf bis heute ungeklärte Weise am 28. März 1794 im Gefängnis des Pariser Vorortes Clamart.

Condorcet gilt als einer der radikalsten Vertreter des aufklärerischen Fortschrittsoptimismus. Die Aufgabe der Politik sah er darin, wirtschaftliche und soziale Reformen auf der Basis wissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse zu planen und zu steuern. Der erst nach seinem Tod veröffentlichte Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes (1795) ist das bedeutendste geschichtsphilosophische Werk der französischen Aufklärung.

Condorcet geht von der – zweifelsohne optimistischen - Prämisse aus, dass es dem Menschen gelingen mag, aufgrund seiner Erfahrung der Vergangenheit auch die Ereignisse der Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit vorherzusehen zu können.

Daher fragt Condorcet: „Warum sollte man es dann noch für ein phantastisches Unterfangen halten, das Bild der künftigen Geschicke des Menschengeschlechts nach den Ergebnissen seiner bisherigen Geschichte mit einiger Wahrscheinlichkeit zu entwerfen?“ Im Bereich der Naturwissenschaften seien es ja die allgemeinen Naturgesetze, die eine sichere Grundlage für Voraussagen bilden, weil sie letztlich als „notwendig und beständig“ gelten können.

So ist Condorcet der festen Überzeugung, dass die Kriterien des „Notwendigen und Beständigen“ auch für die Entwicklung der intellektuellen und moralischen Fähigkeiten des Menschen Gültigkeit haben.

Weil also „alle die Ansichten über Gegenstände von der gleichen Ordnung, die aus der Erfahrung der Vergangenheit gewonnen sind, die einzige Verhaltensregel der weisesten Menschen abgeben, warum sollte man es dem Philosophen verbieten, seine Mutmaßungen auf die gleiche Grundlage zu stellen, vorausgesetzt, dass er ihnen keine höhere Gewissheit beimisst, als die, welche auf der Zahl, der Beständigkeit und Genauigkeit der Beobachtungen beruht?“

Condorcet fokussiert nun das Nachdenken über den zukünftigen Zustand auf drei grundsätzliche Bereiche Menschheit: „die Beseitigung der Ungleichheit zwischen den Nationen; die Fortschritte in der Gleichheit bei einem und demselben Volke; endlich die wirkliche Vervollkommnung des Menschen.“

Die Frage gleichwohl ist, ob die Menschen sich einem Zustand nähern werden, "da sie alle aufgeklärt genug sind, um sich in den allgemeinen Angelegenheiten des Lebens der eigenen Vernunft anzuvertrauen, ein Leben frei von Vorurteilen zu führen, zu wissen, welche Rechte sie haben und wie sie diese nach eigenem Ermessen, eigenem Gewissen gebrauchen sollen; werden die Mensch dahin kommen, dass alle durch die Entwicklung ihrer Fähigkeiten auch sicher die Mittel erhalten, um für ihre Bedürfnisse aufkommen zu können; dass schließlich Verdummung und Elend nunmehr zufällig und nicht länger der gewohnte Zustand eines Teiles der Gesellschaft sind?“

Condorcet begründet seinen Optimismus hinsichtlich der Entwicklungsmöglichkeiten der Menschheit durch die Entdeckungen in Wissenschaft und Technik, durch privaten Wohlstand und allgemeine Wohlfahrt, aber auch durch Fortschritte in den Grundsätzen des Verhaltens und der praktischen Moral.

Vor dem Hintergrund dieser beobachtbaren Erfahrungen ist sich Condorcet sicher, „dass die Natur unseren Hoffnungen keine Grenzen gesetzt hat.“

Die Sonne wird nur noch auf freie Menschen scheinen ...
Und so schließt Condorcet seine Gedanken mit einem kaum noch zu überbietenden Optimismus: „Sie wird also kommen, die Zeit, da die Sonne hienieden nur noch auf freie Menschen scheint, Menschen, die nichts über sich anerkennen als ihre Vernunft; da es Tyrannen und Sklaven, Priester und ihr stumpfsinnigen oder heuchlerischen Werkzeuge nur noch in den Geschichtsbüchern und auf dem Theater geben wird; da man sich mit ihnen nur noch befassen wird, um ihre Opfer zu beklagen und die, die sich zum Narren machten; um im Gefühl des Schreckens über ihre Untaten sich in heilsamer Wachsamkeit zu erhalten und den Blick zu schärfen für die ersten Keime des Aberglaubens und der Tyrannei, damit diese unter dem Gewicht der Vernunft erstickt werden könne, sobald es ihnen gelingen sollte, wieder hervorzubrechen!“

Natürlich war Condorcet ein überzeugter Aufklärer, ein Liberaler und kultureller Neuerer der Moderne. In seinem am 3. Juli 1790 veröffentlichten Essay Sur l'admission des femmes au droit de cité sprach er sich für die Einführung des Frauenwahlrechts aus. Darüber hinaus trat er für die Gleichberechtigung von Schwarzen verbunden mit der Abschaffung der Sklaverei und für den Freihandel ein.

Dennoch ist es immer wieder sehr heilsam, sich der Mahnung Karl Raimund Poppers zu erinnern, der jeder Form der prophetischen Geschichtsphilosophie mit den folgenden Worten entgegentrat: „Diese irrationale Einstellung, die sich an Träumen von einer schönen Welt berauscht, nenne ich Romantizismus. So mag er einen himmlischen Staat in der Vergangenheit oder in der Zukunft suchen, aber er wendet sich immer an unsere Gefühle, niemals an unsere Vernunft. Sogar mit der besten Absicht, den Himmel auf der Erde einzurichten, vermag er diese Welt nur in eine Hölle zu verwandeln – eine jener Höllen, die Menschen für ihre Mitmenschen bereiten.“

Zitate aus: Condorcet: Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritt des menschlichen Geistes, Frankfurt a.M. 1963 (Europäische Verlagsanstalt), S. 345 ff)  -  Karl Raimund Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Tübingen 1992 (Mohr Siebeck), S. 213ff  -   Empfehlenswert auch "Das philosophische Radio" (WDR 5) zum Thema "Geschichtsphilosophie" mit Alexander Demandt

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