Donnerstag, 13. September 2012

Arthur Schopenhauer und das Mitleid

Der holländische Maler Meister von Alkmaar erhält seinen Namen nach seinem Hauptwerk, den „Sieben Werken der Barmherzigkeit“ aus der St. Laurenskirche im niederländischen Alkmaar.

Das Werk, datiert auf das Jahr 1504, gilt als wichtiges Dokument der frühen holländischen Malerei. Auf sieben Tafeln zeigt der Künstler die sieben christlichen Werke der Barmherzigkeit: 

Hungernde speisen - Dürstende erquicken - Nackte bekleiden - Tote begraben

Fremde beherbergen - Kranke pflegen - Gefangene besuchen

Das Bild stellt den Begriff der Barmherzigkeit als Grundforderung christlicher Nächstenliebe anschaulich dar. Sechs der Werke verlangte Jesus in seiner Rede vom Jüngsten Gericht (Mt 25,31ff), das siebte Werk (Tote zu begraben) steht im Buch Tobias (Tob 1,21).

Philosophisch ist das Thema Barmherzigkeit unter dem Begriff Altruismus einzuordnen. Altruismus beschreibt die ethische Einstellung, die – von Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit geleitet – auf das Wohl anderer ausgerichtet ist. Dies kann in letzter Konsequenz auch das allgemeine Wohl der Menschheit sein. Damit steht der Altruismus im Gegensatz zum ethischen Egoismus als dem Versuch, die Moralität von Handlungen von der Nützlichkeit der Tat für den Handelnden selbst her zu begründen.

Eine moderne Begründung des Altruismus findet sich bei Arthur Schopenhauer (1788-1860), der das Mitleid als die natürliche Grundlage aller Moral bezeichnet.

Nach Schopenhauer gibt es beim Menschen überhaupt nur drei Triebfedern für seine Handlungen: Den Egoismus, „der das eigene Wohl will und der grenzenlos ist“, die Bosheit, „die das fremde Wehe will und die bis zur Grausamkeit geht“ und das Mitleid, „das das fremde Wohl will und das bis zum Großmut geht.“

Die Haupttriebfeder im Menschen ist für Schopenhauer der Egoismus, den er als „den Willen zum Dasein“, also zum Überleben definiert.

In der Regel entspringen alle Handlungen des Menschen aus dem Egoismus:  „Der Egoismus ist seiner Natur nach grenzenlos: Der Mensch will unbedingt sein Dasein erhalten, will es von Schmerzen, zu denen auch jeder Mangel gehört, unbedingt freihalten. Er will die größtmögliche Summe an Wohl. Er will nicht nur jeden Genuss, zu dem er fähig ist, er will auch immer neue Fähigkeiten und Möglichkeiten des Genusses entwickeln.“

Unwillen, Zorn und auch Hass regen sich im Menschen immer dann, wenn sich jemand seinem Egoismus entgegenstellt. Diese werden dann zu Feinden, die er letztlich vernichten will: „`Alles für mich, und nichts für die anderen´ – so lautet sein Wahlspruch. So wird aus dem Egoismus Bosheit.“

Arthur Schopenhauer (1788-1860)
Dennoch schränkt Schopenhauer diese dominante Seite des Menschen ein: „Nichts empört so unser moralisches Gefühl wie Grausamkeit. Jedes andere Verbrechen können wir vielleicht verzeihen, nur Grausamkeit nicht.“ Letztlich geht es also hier um die Frage, wieso Menschen grausam sein können, so ganz ohne Mitleid.

Mitleid ist für Schopenhauer das Gegenteil von Grausamkeit. „Wenn es also der Mangel an Mitleid ist, der eine Tat zu einer abscheulichen und unmoralischen Tat werden lässt, dann ist Mitleid die eigentliche moralische Triebfeder des Menschen. Die Menschen wären nichts als Ungeheuer, hätte ihnen die Natur nicht das Mitleid gegeben.“

Mitleid setzt voraus, dass sich „bei fremden Wehe mitleide, d.h. sein Wehe unmittelbar fühle, wie ich sonst nur mein eigenes fühle und deshalb sein Wohl unbedingt will, wie ich sonst nur mein eigenes will.“ Dies erfordere, dass der Mensch mit dem Leidenden identifiziere, d.h. dass die Schranke zwischen Ich und Nicht-Ich für einen Augenblick aufgehoben wird bzw. der Unterschied zwischen Eigenem und Fremden verschwindet, was schon in dem berühmten Zitat des spanischen Dichters Calderón (*1600) ausgesprochen wird: „... que entre el ver / padecer y el padecer / ninguna distancia habia“ (dt.:  „das zwischen Leiden / sehen und leiden/ kein Unterschied sei“).

Schopenhauer geht so weit zu behaupten, dass nur „insofern eine Handlung aus Mitleid entsprungen ist, sie moralischen Wert hat. Handle ich aus Mitleid, ist der Zweck meiner Handlung einfach der: Ich habe geholfen, ich habe jemanden von seinem Leiden befreit – und erwarte nichts dafür als Gegenleistung.“ So besteht in der Teilnahme und in der Aufhebung des Leidens die Grundlage aller Menschenliebe und Humanität.

Zitate aus: Arthur Schopenhauer: Preisschrift über die Grundlage der Moral, in: Sämtliche Werke, Bd. III, Darmstadt 1965 (Wiss. Buchgesellschaft)  -  Weitere Literatur: Marie-Christine Beisel: Schopenhauer und die Spiegelneurone: Eine Untersuchung der Schopenhauer'schen Mitleidsethik im Lichte der neurowissenschaftlichen Spiegelneuronentheorie, Würzburg 2012 (Königshausen & Neumann)

Hochinteressant die Sendung "Schopenhauer und die Spiegelneuronen" aus der Reihe "Das Philosophische Radio" (WDR 5) mit Marie-Christine Beisel und Jürgen Wiebicke

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