Donnerstag, 21. Juni 2012

Arnold Gehlen und die Kultur

Jules Fernand Henri Léger (1881 – 1955) war ein leidenschaftlicher Anhänger der modernen Technik, die ihn wegen ihrer übermenschlichen Kraft und faszinierenden Schönheit begeisterte. Dementsprechend verwendete er für sein künstlerisches Schaffen Symbole der industriellen Welt und stellte die von ihm ausgewählten Objekte und Menschen maschinenähnlich dar.

Fernand Léger: Les Constructeurs (1950)

Seit Beginn der 50er Jahr stand für Léger die Arbeitswelt des Menschen im Zentrum seines Interesses. Ein Hauptwerk aus dieser Zeit ist "Les Constructeurs". Légers Bild bietet zugleich eine gute Möglichkeit, den anthropologischen Ansatz Arnold Gehlens (1904 – 1976) zu verfolgen.

Als Vertreter der modernen philosophischen Anthropologie besteht Gehlens Anliegen darin, die Frage nach der Sonderstellung des Menschen in der Natur zu beantworten.

Gehlen geht davon aus, dass die erste Besonderheit des Menschen allein schon darin besteht, dass er „nicht festgestellt“ ist, dass er sich selbst noch Aufgabe ist, d.h. die Notwendigkeit vorfindet, seine eigene menschliche Existenz zu deuten. Dies sei nicht nur ein theoretisches Bedürfnis, denn „ob sich der Mensch als Geschöpf Gottes versteht oder als arrivierten Affen, wird einen großen Unterschied in seinem Verhalten ausmachen.“ Das Deuten interpretiert Gehlen also bereits als Handeln.

Arnold Gehlen
Die zweite Besonderheit sieht Gehlen darin, dass der Mensch morphologisch im Gegensatz zu allen höheren Säugetieren hauptsächlich durch Mängel bestimmt ist, die er als Unangepasstheit und Unspezialisiertheit beschreibt:

„Es fehlt das Haarkleid und damit der natürliche Schutz gegen Wind und Kälte; es fehlen natürliche Angriffsorgane, aber auch eine zur Flucht geeignete Körperbildung; der Mensch wird von den meisten Tieren an Schärfe der Sinne übertroffen, er hat einen geradezu lebensgefährlichen Mangel an echten Instinkten. Bereits während der Säuglings- und Kinderzeit unterliegt er im Vergleich zu anderen Tieren einer unvergleichlich langfristigen Schutzbedürftigkeit. Mit anderen Worten: Innerhalb natürlicher Bedingungen würde er schon längst ausgerottet sein.“

So ist der Mensch von einer „einzigartigen biologischen Mittellosigkeit.“ Aber diesen Mangel kann er durch seine Arbeitsfähigkeit, d.h. durch seine Hände und seine Intelligenz ausgleichen.

Zwar ist der Mensch organisch ein „Mängelwesen“ und als solches in der Natur nicht überlebensfähig, aber er erschafft sich eine zweite Natur, „eine künstliche und passend gemachte Ersatzwelt.“ In dieser Kulturwelt kann er sich deuten, kann er handeln, und zwar als Kulturwesen.

Wir begegnen dem Menschen überall auf der Welt, weil er überall leben kann. „Man muss die Resultate seiner Hand- und Verstandesarbeit zu den physischen Existenzbedingungen des Menschen hinzunehmen, und diese Aussage gilt für kein Tier. Ein Vogelnest ist niemals vorausschauend geplant sondern immer nur rein instinktiv.“

Der Mensch dagegen hat gar keine andere Chance, als sich als Kulturwesen zu verstehen. So beginnt er, Werkzeuge und Technik zu entwickeln, die er benötigt, um die Natur um seiner Vorteile willen zu nutzen, manchmal auch auszunutzen. In jedem Fall fühlt der Mensch sich in dieser Technikwelt, die Léger so meisterlich dargestellt hat, ausgesprochen wohl.

So ist der Mensch für Gehlen einerseits zwar Mängelwesen, andererseits hat es gleichwohl „einen exakten und guten Sinn“, ihn auch als Prometheus zu bezeichnen.

Zitate aus: Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und Stellung in der Welt, Wiesbaden 2003 (Aula) – ders.: Anthropologische Forschung. Zur Selbstbegegnung und Selbstentdeckung des Menschen, Reinbeck 1961 (Rowohlt)

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