Sonntag, 30. Oktober 2011

Karl Raimund Popper und die Falsifikation

Wie für John Stuart Mill so ist Kritikfreudigkeit auch für Karl Raimund Popper ein Zeichen von Wahrhaftigkeit. In seinem Werk Die Logik der Forschung (1958) entwickelt Popper die bekannte Idee der Falsifikation für den Bereich der Forschung und Lehre. 

 
Popper zufolge kommen wir - ausgehend von dem Horizont der Ungewissheit, in dem wir leben - nicht durch Induktion, also nicht durch Anhäufung von Beobachtungen ("Tatsachen") der Wahrheit näher. Fortschritte macht unsere Erkenntnis nur auf dem Weg der Deduktion:

"Was wir uns klarmachen müssen, ist, dass wir es in der Wissenschaft immer mit Erklärungen, Voraussagen und Prüfungen zu tun haben, und dass die Prüfungsmethode für Hypothesen immer die gleiche ist ... Aus den zu prüfenden Hypothesen – etwa einem allgemeinen Gesetz – und einigen anderen Sätzen, die in diesem Zusammenhang als unproblematisch aufgefasst werden – etwa irgendwelche Randbedingungen -, deduzieren wir die Prognose. Wir konfrontieren dann diese Prognose, wann immer es möglich ist, mit den Ergebnissen experimenteller oder anderer Beobachtungen. Übereinstimmung mit diesen gilt als Bewährung der Hypothese, aber nicht als endgültiger Beweis; klare Nichtübereinstimmung gilt als Widerlegung oder Falsifikation.“ (118)

Für Popper sind Theorien also letztlich nur Scheinwerfer, die einen ganz bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit, aber niemals die gesamte Realität beleuchten.

Theorien enthalten keine objektiven Erkenntnisse, sondern sind nur subjektive Urteile über wissenschaftliche Resultate, also lediglich wissenschaftliche Meinungen. Theorien sind Hypothesen, die falsch sein können - und die Erfahrung aus der Vergangenheit zeigt, dass die meisten von ihnen falsch waren.

„Die Prüfungen führen zur Auswahl von Hypothesen, die die Prüfungen bestanden haben, oder zur Eliminierung derjenigen Hypothesen, die sie nicht bestanden haben und die deshalb verworfen werden ... Alle Prüfungen lassen sich als Versuche auffassen, falsche Theorien auszumerzen, die schwachen Punkte einer Theorie zu finden, um sie zu verwerfen, wenn sie durch Prüfung falsifiziert wird. ... Doch gerade weil es unser Ziel ist, Theorien so gut zu begründen, wie wir können, müssen wir sie so streng prüfen, wie wir können, d.h. wir müssen versuchen, ihre Fehler zu finden, sie zu falsifizieren.“ (119)

Für Popper geben diese Beobachtungen dennoch keinen Anlass zum Skeptizismus: Die Falsifikation führt vielmehr dazu, neue und bessere Hypothesen zu entwickeln. Fortschritt in der Erkenntnis und in der Wissenschaft besteht also in der Widerlegung alter Theorien und deren Überwindung durch neue. Wissenschaft ist und bleibt ein Prozess von trial and error.


„Deswegen bedeutet die Entdeckung von Fällen, die eine Theorie bestätigen, sehr wenig, wenn wir nicht ohne Erfolg versucht haben, Fälle zu finden, die sie widerlegen. Denn wenn wir unkritisch sind, werden wir stets finden, was wir suchen: Wir werden nach Bestätigungen Ausschau halten und sie finden, und wir werden über alles, was unseren Lieblingstheorien gefährlich werden könnte, hinwegsehen ... Wenn wir wollen, dass die Methode funktioniert, ... dann müssen wir dafür sorgen, dass ihr Kampf ums Dasein hart ist.“ (119f)


In letzter Konsequenz verpflichten die Gedanken Poppers dazu, die Freiheit des Denkens unter allen Umständen zu verteidigen. Übertragen auf den Bereich der Politik bedeutet Poppers Lehre, jeden Dogmatismus zu bekämpfen, der in der Praxis zum Totalitarismus führt. Auch hier gilt es, das Prinzip von Versuch und Irrtum durchzusetzen gegen die Ansprüche von selbsternannten Philosophenkönigen.

Zitate aus: Karl Raimund Popper: Das Elend des Historizismus,Tübingen 2003 (Mohr Siebeck)

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